Energetische Sanierung und Asbestbelastung

Geht es nach dem Willen der Politik, steht der Gebäudebestand in der Europäischen Union vor einer Renovierungswelle in einem nie dagewesenen Ausmaß. Um die hochgesteckten Klimaschutzziele zu erreichen und die Abhängigkeit von Öl und Gas aus Drittstaaten, allen voran aus Russland, drastisch zu reduzieren, soll bis zum Jahr 2050 nahezu der gesamte Gebäudebestand in den EU-Mitgliedstaaten energetisch modernisiert und dekarbonisiert werden. Den rechtlichen Rahmen hierfür bildet der im Dezember 2021 von der EU-Kommission vorgelegte Entwurf einer Richtlinie (COM[2021] 802 final), mit der die Gebäudeeffizienzrichtlinie aus dem Jahr 2010 reformiert und mit den Vorgaben des europäischen Green Deal in Einklang gebracht werden soll. Es ist zu erwarten, dass Deutschland als europäischer Musterschüler über die EU-Vorgaben noch hinausgeht und auf nationaler Ebene deutlich ambitioniertere Ziele formuliert.

Im Rahmen der Renovierungswelle sollen Öl- und Gasheizungen aus den Heizungskellern verschwinden und durch alternative Energiesysteme ersetzt werden, wobei als Lieblingskind der Politik derzeit die Wärmepumpe gilt, die idealerweise auf Basis von Strom betrieben wird, der zuvor aus erneuerbaren Energien gewonnen wurde. Wärmepumpen heizen effizienter, wenn sie mit einer niedrigen Vorlauftemperatur arbeiten. Dafür sind vor allem Fußboden- oder Deckenheizungen geeignet. Um den energetischen Standard des Gebäudes zu optimieren, empfiehlt es sich, die alten Heizkörper zu demontieren und den Fußboden bzw. die Decke anzupassen. Die Renovierungsarbeiten beschränken sich also nicht allein auf den Heizungskeller, sondern machen auch Eingriffe in die Gebäudesubstanz erforderlich.

Ob sich die Renovierungswelle im vorgegebenen Zeitplan tatsächlich so realisieren lässt, wie es sich die Politik auf die Fahnen geschrieben hat, darf bezweifelt werden. Einige Aspekte sprechen dagegen, wie insbesondere die hohen Kosten einer energetischen Renovierung (pro Gebäude und gesamtwirtschaftlich) sowie das Fehlen von geeigneten Fachkräften, die die Arbeiten ausführen können. Aber selbst wenn Geld und Fachkräfte im Überfluss vorhanden wären, wird die Sanierungswelle vermutlich durch einen Faktor beeinflusst, wenn nicht gar torpediert, der in der Diskussion bislang eine eher geringe Beachtung gefunden hat. Dieser Faktor heißt „Asbest“.

Asbest war ein über viele Jahrzehnte zugelassener und viel verwendeter Baustoff, bis festgestellt wurde, dass er krebserregend ist. Zwar ist Asbest schon lange verboten, in Deutschland seit dem Jahr 1993 und in der Europäischen Union seit dem Jahr 2005, aber der überwiegende Teil des Gebäudebestandes (Schätzungen der EU zufolge rund 80 %) ist zeitlich vor diesen Verbotszeitpunkten errichtet worden. Damit steht die Vermutung im Raum, dass ein wesentlicher Teil des Gebäudebestandes mit Asbest belastet ist. Wir bei der GEWO in Nordhorn untersuchen seit Ende 2015 unseren Bestand systematisch auf Schadstoffe und fassen die Prüfergebnisse strukturiert softwarebasiert zusammen. Die positive Asbest-Befundquote liegt in unserem Unternehmen bisher bei ungefähr 60 %. Wir haben in einem
kostenintensiven Lernprozess erhebliches Know-how bei der Schadstoffsanierung aufgebaut und auf diesem Weg auch die Entwicklung von neuer Frästechnik initiiert. Dies für andere Unternehmen zu vermeiden, wären bundesweit organisierte Kompetenzzentren aus meiner Sicht überaus sinnvoll.

Das Europäische Parlament hat das Asbestproblem erkannt und am 20. 10. 2021 fast einstimmig eine Entschließung mit dem Titel „Schutz von Arbeitnehmern vor Asbest“ verabschiedet, mit der die Kommission u. a. aufgefordert wird, eine Europäische Strategie zur Beseitigung von Asbest (ESRAA) vorzulegen. Das Parlament fordert, dass die Gebäudeeffizienzrichtlinie dahin geändert wird, dass vor Beginn der energetischen Sanierung eines Gebäudes zwingend eine Kontrolle und anschließende
Beseitigung von Asbest und anderen gefährlichen Stoffen zu erfolgen hat. Der Gesundheitsschutz der Bauarbeiter soll also richtigerweise Vorrang vor den hochgesteckten Sanierungszielen zum Zwecke des Klimaschutzes genießen.

In Deutschland scheint das Thema noch nicht ganz angekommen zu sein, auch wenn einzelne Vorreiter bereits ein entsprechendes Problembewusstsein entwickelt haben. So hat beispielsweise der GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen im Dezember 2021 eine Arbeitshilfe zur Asbestbeseitigung (GdW Arbeitshilfe 87) herausgegeben, die den Wohnungsunternehmen wertvolle Hinweise gibt, wie mit dem Thema Asbest bei Abbruch-, Sanierungs- und Instandhaltungsarbeiten umzugehen ist. Auch der vom Bundesarbeitsministerium initiierte „Nationale Asbestdialog“ ist ein Schritt in die richtige Richtung. Jedem Gebäudeeigentümer ist angeraten, sich frühzeitig mit der Materie auseinanderzusetzen und bei der Planung der energetischen Sanierung seines Gebäudes die Asbestkontrolle und die ggf. erforderliche Asbestbeseitigung mit einzubeziehen.

Geschäftsführer Reno Schütt
GEWO Gesellschaft für Wohnen und Bauen, Nordhorn